Von Oliver Wieters
Erstabdruck
„Erlebnis, Gedächtnis, Sinn“. Informationes Theologiae Europae. Internationales ökumenisches Jahrbuch für Theologie, Frankfurt am Main et all. 1994, Band 3, Seite 53-65. ISSN 0942-4822
Zusammenfassung (Deutsch, Englisch, Französisch)
Der Glaube an die Sinnhaftigkeit von Katastrophen (und der Glaube schlechthin) ist angesichts der Erfahrung Auschwitz fragwürdig geworden. Mit dem Sinnverlust geht ein kollektives Vergessen einher. „Nur deshalb spricht man so viel von Gedächtnis“, meint Paul Nora, „weil es keines mehr gibt.“ Die Gefahren, die sich daraus ergeben, sind offensichtlich: Kollektives Vergessen stellt die kulturelle Identität in Frage, führt, wie der chassidische Baal Schem Tow lehrte, „ins Exil“. Dies ist besonders der Fall, wenn die Traditionslinien zerrissen wurden, wenn durch das Erlebnis eines tiefgreifenden Bruchs – wie Genozid und Diaspora – der Sinnrahmen, in dem Erinnerungen bewahrt werden, zerstört wurde. Die Zerstörung von Erinnerung bedeutet die systematische Verhinderung von Identität in geschichtlich-gesellschaftlichen Zusammenhängen. Hingegen kann Erinnerung eine Kategorie der geschichtlichen Selbstfindung sein.
In the face of Auschwitz the belief in the meaningfulness of catastrophes (and belief in general) has become questionable. At the same time, memory becomes increasingly and collectively forgotten. „The only reason why one speaks so much of memory“, says Paul Nora, „is because it no longer exists.“ Obviously, various dangers result from this observation: collective forgetfullness puts cultural identity into question. It leads, according to the Hasidic Baal Shem Tov, „into exile“. This is especially the case, where the lines of tradition have been torn as a result of the searing fate of genocide or diaspora, or where the traditional framework of meaning in which memory is integrated, has been destroyed due to other reasons. The destruction of memory means the systematic prevention of identity in historical or social contexts. On the other side, memory can be a category of historical self-discovery.
Devant l’expérience de Auschwitz la croyance à la raison des catastrophes (et la croyance elle-même) est devenue douteuse. Avec la perte de la raison il y a simultanément un oubli collectif. „On ne parle tant de la mémoire que pour la raison qu’il n’en existe plus“ (Paul Nora). Les dangers résultant de cela sont évidents: L’oubli collectif met l’identité culturelle en question. Il mène „à l’exil“ comme le chassidique Baal Schem Tov a enseigné. C’est particulièrement valable, si les lignes de tradition ont été déchirées, si le cadre de la raison, dans lequel les souvenirs sont conservés, a été détruit par l’expérience d’une rupture profonde – comme génozid et diaspora. La destruction des souvenirs empêèche systématiquement l’identité dans le contexte socio-historique. Par contre il est possible que le souvenir soit une catégorie du retour sur soi-même en face de l’histoire.
Einleitung
Der gestrandete, havarierte Robinson Crusoe zog, sobald er sein Überleben auf einer Karibik-Insel für gesichert ansah, Bilanz und kam zu dem Schluß, daß auch nach der schlimmsten aller Desaster doch irgendwie ein Plus zurückbleibe. Nicht erst seit dem Holocaust ist dieser Glaube an die Sinnhaftigkeit von Katastrophen fragwürdig geworden. Mit dem Sinnverlust geht ein kollektives Vergessen einher. „Nur deshalb spricht man so viel von Gedächtnis“, behauptet zum Beispiel Paul Nora, „weil es keines mehr gibt.“1
Dieser Zusammenhang von „Erlebnis, Erinnerung, Gedächtnis und Sinn“ war Gegenstand eines internationalen Symposions der Evangelischen Akademie Arnoldshain und des Fritz Bauer Instituts vom 11. bis zum 15. Mai 1994 in Arnoldshain. Ziel der Tagung war es, die Problematik von „authentischer und konstruierter Erinnerung“ aus verschiedenen Blickwinkeln heraus zu erhellen. In der Katastrophen-Forschung gibt es zwar verschiedene Disziplinen, so James Edward Young, vor allem aber eine grundlegende interdisziplinäre Kontinuität (Young4).
Young warnte vor den Gefahren, die sich aus dem Gedächtnisverlust ergeben. Kollektives Vergessen stellt die kulturelle Identität in Frage, führt, wie der chassidische Baal Schem Tow lehrte, gar „ins Exil“. Dies ist besonders der Fall, wenn die Traditionslinien zerrissen wurden, wenn durch das Erlebnis eines tiefgreifenden Bruchs – wie Genozid und Diaspora – der Sinnrahmen, in dem Erinnerungen bewahrt werden, zerstört wurde.
Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Zerstörung von Erinnerung, wie sie zum Beispiel die Nationalsozialisten systematisch durchführten, die Verhinderung von Identität und von Subjektwerden oder auch Subjektbleiben in geschichtlich-gesellschaftlichen Zusammenhängen2 bedeutet. Hingegen kann Erinnerung eine Kategorie der geschichtlichen Selbstfindung sein.
Die Tagung warf aber auch die Frage auf, welche „Strategien“ das Erlittene in einen Erzählzusammenhang einreihen und somit dem Vergessen entgegen wirken. Wie können sich die Überlebenden von kollektiv erlebten Katastrophen dem Geschehen erzählerisch nähern und sich damit zugleich eine Distanz von den bedrängenden Erinnerungen schaffen? Denn auch wenn die Erfahrung der Zerstörung und Vernichtung einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der jeweils betroffenen Gruppe bedeutet, muß nicht das bisherige Denken gänzlich abgebrochen werden; die neuen Denkansätze können vielmehr an Tradiertes anknüpfen. Denn die Vergangenheit lebt in der Gegenwart weiter und nimmt darauf Einfluß, wie wir die Gegenwart wahrnehmen und interpretieren. Sie gibt unserer Welt Sinn und determiniert unser Handeln.3
Aber wie reagieren Gemeinschaften auf Katastrophen? Welche Faktoren machen ein Ereignis zudem so bedeutsam, daß es institutionalisiert und durch rituelle Handlungen in regelmäßigen Abständen vergegenwärtigt wird? Wann kann man von einer erfolgreichen Erinnerung sprechen, wann nicht? Sind eine individuelle, eine kollektive Erinnerung – angesichts von Auschwitz – überhaupt noch möglich?
Poltikwirksame Erinnerung
Diese Fragen implizieren nicht zuletzt auch einen politischen Aspekt. So erlaubt der zurückliegende tiefgreifende gesellschaftliche Umbruch im um das Jahr 1989 einen „ernüchterten“ Blick auf die Verhältnisse, die 45 Jahre lang das Denken und Handeln der Menschen mitbestimmt haben. Man hat diese Epoche das „Atomzeitalter“ genannt, denn über ihr hing das Damoklesschwert der atomaren Apokalypse. Die Erinnerung an die Atombombenabwürfe über Nagasaki und Hiroshima, bei denen innerhalb kürzester Zeit mehr als 200.000 Menschen starben, hat die Gesellschaften und die Individuen in ihren Bann gezogen. Welche Rolle hat die Erinnerung an Nagasaki und Hiroshima bei der „Bewältigung“ der atomaren Bedrohung in der Folgezeit gespielt? Wie haben die Gesellschaften darauf reagiert? Bernhard Moltmann, Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain, brachte seine Antwort auf diese Frage in seinem Vortrag Die atomare Drohung in der Politik des Kalten Krieges – Hiroshima: Formen und Inhalte einer politikwirksamen Erinnerung auf die – von Thomas Assheuer5 – übernommene Formel: „Wenn Vernichtung die Signatur dieses Jahrhunderts ist, ist die Fluchtphantasie sein Schatten.“ Das heißt, die Vernichtung war real möglich, aber wurde in das Reich des Irrealen und der Fiktion verbannt. Statt über die sinnvolle Verwendung der technischen Möglichkeiten zu entscheiden, richteten sich alle Anstrengungen darauf, dem Schatten von Nagasaki und Hiroshima zu entkommen. In der Folge wurden die politischen Konstellationen auf ein bipolares Modell reduziert, die militärische Planung auf die Möglichkeit eines atomaren Kriegs ausgerichtet und die herkömmlichen Militärstrategien à la Clausewitz in eine differenzierte „Logik“ der Abschreckung umgewandelt. So wurden die Atomwaffen zu politikbestimmenden Mitteln. Die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki hätte eine Emanzipationsleistung sein können, wenn die Gefährdung in ihrem ganzen Ausmaß, ohne poltische und ideologische Scheuklappen wahrgenommen worden wäre. So aber wurde die Wahrheit zugunsten der terrorisierenden Abschreckung durch die Atomwaffen beseitigt (Paul Virilio).
Erinnerung und Geschichtswissenschaft
Vor dem Hintergrund der angedeuteten sowjetischen Erfahrung stellt sich die Frage, welche Rolle dem Historiker im Spannungsfeld von Gedächtnis und Geschichte zukommt. Golczewski wehrte sich gegen Ansprüche, die Hinsichtlich einer Sinnstiftung an seine Zunft gerichtet werden. Seiner Auffassung zufolge ist es Aufgabe des Historikers, die Kausalität historischen und damit menschlichen Tuns herauszuarbeiten. Er teilt die Auffassung der meisten Historiker, daß eine Bewertung, eine Einteilung in „Schlimmes“ und „Gutes“ einen moralischen Kanon erfordere, der sich im Laufe der Zeit und unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen (auch innerhalb eines Volkes) wandle; er stehe für den Historiker nicht einfach zur Verfügung, sondern könne allenfalls Untersuchungsgegenstand sein: „Wo Historiker moralisch urteilen, was durchaus möglich ist, begeben sie sich in ein ihrer Wissenschaft zwar benachbartes, aber nicht eigenes Feld.“
Doch was gewinnt und was verliert ein Historiker, der sich ausschließlich auf den gesicherten Gang der Beweisführung verläßt? Welche Erinnerungen verdrängt er? Kann der Historiker überhaupt einer moralischen Wertung entraten? In den meisten Fällen ist sie in seiner Arbeit ohnehin präsent, wenn auch gut versteckt. Viele Begriffe, derer sich der Historiker bedient, wie zum Beispiel das Wort „Deportation“, sind moralisch aufgeladen. Besteht nicht die Gefahr, daß eine rein „wissenschaftliche“ Herangehensweise das Leid und die Tränen in einem Fußnotenmeer ertränkt? Indem sie das subjektive Element betont ausblendet, läuft sie da nicht Gefahr, die Opfer erneut zu Objekten zu degradieren?
Der Glaube an die „Tugend der Kausalanalyse“6 entzieht dem auseinandersetzenden Nachdenken wesentliche Substanz. Die Ergebnisse, die eine Auseinandersetzung mit Auschwitz bringt, hängen auch davon ab, wer sich der Arbeit unterzieht. Wer sich über seine Motivation und seine Prägungen bei der Beschäftigung mit dem Vernichtungsgeschehen täuscht, unterliegt leicht dem, was Jacques Derrida einmal „weiße Mythologie“ genannt hat: sie verleitet denjenigen, der die Metaphern seiner eigenen Kultur nicht kennt, zu unbewußten Schlußfolgerungen über die Wirklichkeit7.
Erinnern angesichts von Genozid und Diaspora
Der Völkermord an den Armeniern, dem 1915 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen (die Schätzungen schwanken hier erheblich), ist eine in Deutschland aus den verschiedensten Gründen vernachlässigte Erfahrung. Allerdings betrifft das Verdrängen der Erinnerung an den Genozid auch die innere Welt der Überlebenden: Dem Garmir Tschart, dem „roten Massaker“, wie die Armenier den Völkermord (armenisch aghed) nennen, steht der Dschermag Tschart, das „weiße Massaker“, die Gefahr des Vergessens gegenüber. Dabei handelt es sich auch um eine interne Gefahr: So nimmt die Republik Armenien – entgegen der Diaspora, für die der Völkermord die verbindende Erinnerung ist – den Genozid aus ihrer innen- und außenpoltischen Selbstdefinition heraus, weil sie dem nationalen Selbstverständnis nicht entspricht.
Mihran Dabag vom Bochumer Institut für Armenische Studien stellte in seinem Vortrag über Katastrophe und Identität: Das Erinnern der Verfolgung der armenischen Gemeinschaft die Frage nach der identifikativen Kontinuitätssicherung angesichts von Genozid und Diaspora (armenisch karuth). Die Begriffe Tradition und Geschichte konfrontierte er zu diesem Zweck modellhaft mit der Kategorie der Erinnerung. Diese Gegenüberstellungen entsprechen im wesentlichen der Unterscheidung von „bewohntem“ und „unbewohntem“ Gedächtnis, die Aleida Assmann8 vorgenommen hat. Ersteres ist wertvermittelnd und steht in einem lebensweltlichen Kohärenzzusammenhang; letzeres ist statisch, wertselektiv und von seinem Träger losgelöst. Demnach gründet sich Tradition auf dem Anspruch nach Autorität, die auch für die Zukunft Gültigkeit beansprucht, während Geschichte keine Normen bereithält, sondern einen Interpretationsvorschlag unterbreitet.
Die Identitätssicherung in der Diaspora umfaßt, so Dabag, sowohl traditionelle wie geschichtliche Elemente. Doch die Armenier haben auch eine dritte Form der Kontinuitätssicherung, und das ist die Erinnerungs-Kontinuität. Die Bindung an die Erinnerung ist entgegen Tradition und Geschichte dynamisch und erfüllt sich erst durch das Erinnertwerden. Dies geschieht besonders in den Medien der Schrift, des Bildes und der Erzählung. Sie ist nicht zukunftsorientiert, sondern eine kontinuitätsgewährende Rückbindung, die ihre Gültigkeit aus der situativen Rekonstruktion ableitet. Ein weiterer Vorteil gegenüber Tradition und Geschichte ist, daß sie die Sinndeutung bis zum Moment des Erinnerns offenlasse. So übernimmt sie in der Diaspora-Gemeinschaft zwar die Aufgabe der Konstruktion von Zugehörigkeit, beinhaltet aber eine „höhere Freigabe für das Individuum“. Denn die Erinnerung integriert neue Erfahrungen in die Überlieferung und verändert so auch das Lebensschema. Sie stellt damit eine erfolgsversprechendere Überlebensstrategie dar.
Erinnern und Vergessen (Freud, Halbwachs)
Bernhard Moltmann hatte der erfolgreichen Erinnerung als „Emanzipationsleistung“ die verdrängte Erinnerung gegenübergestellt. Man könnte in diesem Sinne die Fluchtphantasien des Atomzeitalters als psychosoziale Neurose betrachten, die durch eine Offenlegung der verdrängten Erinnerungen zu „heilen“ wäre. Dann wäre die „Erinnerung“ ein (psychoanalytischer) „Schlüssel zur Erlösung“. Nach Sigmund Freuds Modell der Verdrängung und Anna Freuds Lehre von den Abwehrmechanismen besteht die Verdrängung in einer Tätigkeit des Ichs, die dem unerwünschten Es-Impuls den Zugang zum Bewußtsein versperrt, so auch ungewünschten Erinnerungen. Eine verdrängte Erinnerung, schreibt der Psychoanalytiker Charles Brenner, ist vom subjektiven Gesichtspunkt dessen, in dem die Verdrängung stattgefunden hat, eine vergessene Erinnerung. „Wir wissen nicht sicher, ob es überhaupt eine andere Art des Vergessens gibt als die Verdrängung“9.
Vergessen und Erinnern hängen aber auch von den sozialen Bedingungen ab, unter denen sie stattfinden. Dieser Zusammenhang kommt bei Freud – und in der kognitiven Gedächtnistheorie10 – nur am Rande vor; als erster hat ihn Maurice Halbwachs11 ausführlich herausgearbeitet. Der französische Soziologe, der lange Zeit nicht rezipiert wurde, vertrat die These, daß es kein Gedächtnis gibt, das nicht sozial ist12. Wie unser Denken und Fühlen, so haben auch unsere Erinnerungen ihren Ursprung in bestimmten sozialen Milieus und unter bestimmten sozialen Umständen. Sie sind kollektiv und werden uns von anderen Menschen ins Gedächtnis zurückgerufen – selbst dann, wenn es sich um Ereignisse handelt, die allein wir durchlebt und um Gegenstände, die allein wir gesehen haben. Wenn man einen Abschnitt seines Lebens vergißt, dann, weil man die Verbindung zu jenen Menschen verliert, die einen zu jener Zeit umgaben. Erinnern ist erst möglich, wenn man den Standpunkt einer oder mehrerer Gruppen einnimmt oder sich von neuem in eine oder mehrere Strömungen kollektiven Denkens einfügt. Für Halbwachs war die Erinnerung in erster Linie eine Rekonstruktion der Vergangenheit mit Hilfe von der Gegenwart entliehenen Gegebenheiten; sie werde durch andere, zu früheren Zeiten unternommene Rekonstruktionen vorbereitet, aus denen das Bild von ehemals schon recht verändert hervorgegangen ist. „Erinnerungen werden also bewahrt, indem sie in einen Sinn-Rahmen eingehängt werden. Dieser Rahmen hat den Status einer Fiktion. Erinnern bedeutet Sinnstiftung für Erfahrungen in einem Rahmen; Vergessen bedeutet Änderung des Rahmens, wobei bestimmte Erinnerungen beziehungslos und also vergessen werden, während andere in neue Beziehungsmuster einrücken und also erinnert werden.“13 In der ständigen Umwandlung und Neuinterpretation der Vergangenheit im Interesse der Gegenwart besteht die Leistung des Gedächtnisses. Während Freud Erinnern und Vergessen individualpsychologisch erklärt, rückt Halbwachs kollektive Prozesse in den Vordergrund seiner Betrachtung14.
Erinnern und Vergessen (Freud, Halbwachs)
Mihran Dabag bereitete das psychoanalytische Modell hinsichtlich der Genozid- und Diaspora-Erfahrung der Armenier erhebliche Probleme. Er bemängelte, daß sich die Traumakonzeption der Psychoanalyse – Trauma im griechischen Sinne von „Wunde“ und „Verletzung“ – nur wenig an die Tiefe der Zerstörung, die der Genozid verursachte, zu nähern vermag. Sie vernachlässige die Tatsache des kollektiven Bruchs und das Phänomen kollektiver Integrationsstrategien. Die Forderung nach Wiederherstellung der individuellen, psychischen Kohärenz durch Trauerarbeit, also durch Ablösung von der verletzenden Beziehung, sei angesichts der Tatsache, daß der Überlebende der einzige Zeuge des Ereignisses ist, eine unannehmbare Vorstellung. Zudem stelle die Forderung nach Aufgabe der Position einer Opfererinnerung in einem problematischen Verhältnis zu der Verweigerung des Täters, seine Schuld anzuerkennen.
Erinnern im jüdischen Kontext
Das Schweigen über die Vernichtung, für die der Name Auschwitz steht, wäre eine Fortsetzung, wenn nicht Bestätigung der Vernichtung. Dieser Gedanke steht hinter dem „614.“ Gebot, das der jüdische Religionsphilosoph Emil Fackenheim den 613 jüdischen Geboten hinzugefügt hat; er nennt es die „fordernde Stimme von Auschwitz“: Es ist den Juden verboten, Hitler zu posthumen Siegen zu verhelfen. Angesichts der Vernichtung sollen die Juden die Erinnerung an die Toten bewahren und als Juden leben, und sie sollen weder an Gott noch an der Menschheit verzweifeln15. Der Gedanke der Erinnerung ist nicht erst seit dem Holocaust innerhalb des jüdisch-christlichen Kontextes von größter Bedeutung. Das Mahnen an die Erinnerung ist überall in der (jüdischen) Bibel zu finden. Denn „Rück-Bindung, Erinnerung, bewahrendes Gedenken“, so Jan Assmann, „ist der Ur-Akt der Religion“16, auch der jüdischen. Am gleichen Ort hat Jan Assmann aufgezeigt, wie die Juden in der Not des babylonischen Exils mit ihrem deuteronomistischen Geschichtswerk beispielhaft die Fundamente einer kulturellen Mnemotechnik gelegt haben, deren vorrangiger Zweck die Sicherung und Fortsetzung sozialer Identität ist. Sie sollte dabei helfen, „die katastrophalen Ereignisse der Gegenwart noch als Handeln Jahwes verstehen und verkraften zu können.“17
Daniel Krochmalnik von der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg ist in seinem Vortrag (Amalek. Gedenken und Vernichtung in der jüdischen Tradition) der spezifisch jüdischen Verbindung von Gedenken, Erinnerung und Vernichtung nachgegangen. „Erinnere dich sachor daran, was dir Amalek angetan hat“, beginnt der erste von drei Versen aus dem 5. Buch Mose, die am shabbat sachor, dem Schabbat der Erinnerung vor dem Purimfest vorgelesen werden; mit der Aufforderung: „Vergiß es nicht lo tischkach endet der dritte Vers.“18 Das Erinnern an Amalek, das sich nach Psalm 83 als erstes unter den Völkern die Ausrottung der Juden auf den Banner geschrieben hatte, ist ein Beispiel für die Verbindung eines aktuellen Geschehens mit der Erinnerung19. Amalek, der paradigmatische Judenfeind schlechthin, war ein Enkel Esaus, des Bruders von Jakob/Israel – somit war die Möglichkeit der Vernichtung im Stammbaum Israels als eine konstitutionelle Bedrohung eingezeichnet. Bis in die Gegenwart werden die Judenfeinde – teils genealogisch – auf Amalek zurückgeführt. Der entscheidende Gewinn einer solchen Identifikation ist, daß das radikale Übel sozusagen zur Familie gehört und durchaus bekannt ist. Die genetische und ethnische Lokalisierung des radikalen Übels lasse darauf hoffen, daß eine Endlösung der Endlöser möglich ist, so Krochmalnik in einer zugespitzten Wendung. Der Reichtum der Motivforschung wiege den möglichen Realitätsverlust wieder auf. Der Referent zitierte hier Stéphane Mosès: „Damit Vergangenheit lebendig bleibt, damit sie nicht zum Gedenken erstarrt, muß sie das kollektive dauernd neu erfinden.“20 (In ähnlichem Sinne hat Elias Canetti einmal von seinem Mißtrauen gegen jeden gesprochen, der eine Erinnerung mehrmals in genau der gleichen Weise wiedergibt.)
Gedenken und Vergessen schließen einander nicht aus. So kann das Gebot „gedenke!“ von sachor auf das verbale und das Gebot „vergiß nicht!“ des lo tischkach auf das mentale Erinnern bezogen werden. Herzensdienst und Lippendienst müssen einander entsprechen. Dabei ist zu erinnern, daß „Herz“ im Hebräischen auch der Ort der Gedanken ist. Den Gefühlen soll ein objektiver Ausdruck gegeben werden. Diese Überführung subjektiven Gedenkens in objektives Gedenken wird freilich durch die Normierung unvorhergesehener Erfahrungen erkauft; andererseits geschieht so eine unmerklich Anpassung der ursprünglichen Erfahrung an neue Situationen.
Damit die Gefahr von Amalek und seiner Nachfolger nicht vergessen wird, bedarf es der Gedächtnishilfen. Dies sind in erster Linie Ritus, Schrift und Gebote. Sie sollen ein „kontrapräsentisches Gedenken“ (Jan Assmann) gewährleisten, das heißt ein Gedenken auch dann, wenn kein unmittelbarer Anlaß dafür vorliegt.
Im Falle des schriftlichen Denkmals führt das zu der Paradoxie, daß das Vergessen des Verfolgers gefordert, zugleich aber auch seine Erinnerung wachgehalten wird: „Das literale Medium streicht die Absicht durch, die die Schrift zum Ausdruck bringt.“ Amalek ist das Objekt der Anklage, das vernichtet werden soll; gleichzeitig ist er Grund für eine Selbstanklage, weil die Untat nur möglich wurde, da Israel von Gott abgefallen war. Sachor – erinnere dich – ist somit als Rückbesinnung auf die eigenen Sünden ein Korrektiv zur Fixierung auf ein Feindbild und zugleich als Vergegenwärtigung fremder Sünden ein Korrektiv zur „masochistischen Geißlermentalität“. Beides zusammen, so Krochmalnik, sei für das seelische, moralische und spirituelle Gleichgewicht notwendig.
Gedächtnis der Orte
Das Gedächtnis einer Gesellschaft wird nicht zuletzt durch öffentliche Orte der Erinnerung geprägt, zum Beispiel durch Museen oder Gedenkstätten. Die heutige Praxis der lokalen Verortung des Gedächtnisses hatte bereits Aleida Assmann in ihrem Vortrag über Das Gedächtnis der Orte21 problematisiert: Fünfzig Jahre nach dem Holocaust, so Assmann, habe sich Polen, der Hauptort des Vernichtungsgeschehens, in eine Region der Gedenklandschaft verwandelt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: „Mit dem Aussterben der überlebenden Opfer muß die Erinnerung an die an ihnen vollzogenen Verbrechen auf andere Weise stabilisiert werden.“ Diese kommemorative Funktion bindet sich verstärkt an die Orte der Deportation und Vernichtung. Ihre differenzierte Analyse untersuchte Äußerungen von Cicero, Petrarca, Goethe, Schiller, Heine und T.S. Eliot, war also ein kulturwissenschaftlicher Streifzug. Assmann unterschied heilige Orte, Gedächtnisorte, Gedenkorte, Tatorte und numinose Orte. Sämtliche Formen sind auch heute wieder vertreten. Dennoch kritisierte die in Konstanz lehrende Literaturwissenschaftlerin, daß mit der gegenwärtigen Verschiebung von einem Gedächtnisort – Ort als Genitivus objectivus – hin zu einem Gedächtnis der Orte – Ort als Genitivus subjectivus – den Orten Aufgaben übertragen werden, die zu erfüllen sich die Kultur nicht mehr zutraue, nämlich die Konstruktion von Bedeutsamkeit und die Kontinuität der Überlieferung. An die Orte hefte sich „die Sehnsucht nach Inspiration, nach Offenbarung, nach symbolischer Kraft.“ Tatsächlich aber halte ein Ort, so Assmann, Erinnerungen nur dann fest, wenn Menschen auch Sorge dafür tragen.
Öffentliches Gedächtnis
Auch bei Denkmälern besteht die Gefahr, daß das Erinnern an sie delegiert und somit von der Gesellschaft vergessen wird. Vielleicht rührt gar die Erinnerung an Ereignisse wie den Holocaust in Wirklichkeit aus einem entgegengesetzten Impuls heraus, nämlich das Geschehen zu vergessen? (So hat Paul Nora einmal davon gesprochen, daß die „Erinnerung völlig von ihrer pedantischen Konstruktion aufgesaugt wurde. Ihre neue Berufung ist das Aufzeichnen. Doch indem sie die Verantwortung an die Archive lieu de mémoire delegiert und sie dort deponiert, verliert sie ihre Kennzeichen wie eine Schlange ihre Haut bei der Häutung.“22)
In Deutschland hat sich eine neue Generation von Künstlern und Bildhauern herausgebildet – so James E. Young23 (Amherst, USA) in seinem Vortrag über das Dilemma der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust -, die genau diesen Verdacht hegt. Ausgehend von einer fundamentalen Kritik am überkommen Denkmal-Begriff suchen sie daher nach neuen Wegen, der Erinnerung im öffentlichen Raum Ausdruck zu geben. Denn offensichtlich paßt das Holocaust-Denkmal nicht in die Tradition des Denkmals als heroischer Glorifizierung und Symbol des Triumphes24. Stattdessen ist das Aufkommen sogenannter Gegen-Denkmäler zu beobachten: Denkmäler gegen das Vergessen, gegen die Selbstzufriedenheit des Betrachters und „gegen sich selbst“ (insofern sie die traditionelle Funktion des Denkmals problematisieren)25.
Niemand nehme seine Denkmäler ernster als die Deutschen, so Young; andererseits sei die Holocaust Denkmal-Arbeit im heutigen Deutschland eine peinigende, sogar lähmende Obsession. Schließlich komme es nur selten vor, daß eine Nation an die eigene Bevölkerung appelliert, der Opfer von Verbrechen zu gedenken, die diese Nation in ihrer Vergangenheit selbst begangen hat26. Hingegen wird in den USA die Erinnerung an den Holocaust in die amerikanische Geschichte integriert; die Aufmerksamkeit konzentriert sich dabei auf die Rolle der Vereinigten Staaten als Befreier der Konzentrationslager. Die Gefahr ist hier wie da gegeben, daß die Erinnerung einen unveränderlichen, in bestimmte gesellschaftliche Kontexte fest eingebundenen Ausdruck findet, gar „erstarrt“. Vielleicht ist daher gerade eine unendliche, nie zu entscheidende Debatte über die Frage, welche Erinnerung konserviert werden soll, in welcher Weise, in wessem Namen und zu welchem Zweck, das beste Denkmal für die Ära des Faschismus.
Anamnetische Vernunft
Eine Schlußüberlegung: Anfangs wurde die These aufgestellt, daß ein Zusammenhang zwischen Sinnverlust und Verlust an kollektiver Erinnerung besteht. Das soll hier noch kurz erläutert werden. Johann Baptist Metz spricht in Hinsicht auf die Krise der Geisteswissenschaften und des Christentums von einer Verdrängung der anamnetischen Tiefenstruktur des Geistes27. Damit ist besonders die Herausdrängung der jüdischen Elemente des Denkens und An-denkens gemeint. In der jüdischen Tradition ist Andenken und Erinnern, wie der bereits zitierte Philosoph Leonard Ehrlich in Anlehnung an Franz Rosenzweig schreibt, als ein Denken gedacht, das nicht ein betrachtendes Denken, sondern ein verwirklichendes Denken ist, ein Denken, das sich einer Aufgabe inne ist.28 Heute ist an die Stelle des Eingedenkens eine evolutionistisch getönte Historie getreten, die die Vergangenheit des Vergangenen unterstellt und die es nicht mehr als eine Herausforderung an die Vernunft empfindet, daß jede gelungene Historisierung der Vergangenheit auch eine Art des Vergessens ist. Demgegenüber widersteht die anamnetisch verfaßte Vernunft, die eingedenk des Verlorenen bleibt, der Auffassung unserer Lebenswelt als „fugendichte Normalität dessen, was sich nun einmal durchgesetzt hat“ (Jürgen Habermas)29. Gehen wir – so ließe sich fragen – mit dem Erinnern an die Katastrophe Auschwitz auch deshalb so unsicher und zwiespältig um, weil wir einen Mangel an anamnetisch verfaßten Geist, der in Auschwitz ausgelöscht wurde oder werden sollte, haben?
Schlußbemerkung
Das Thema der Tagung legt eine interdisziplinäre Herangehensweise, einen intensiven Austausch zwischen Vertretern der verschiedenen Fakultäten nahe. Es ist ein großes Verdienst der Evangelischen Akademie und des Fritz Bauer Instituts30, hierfür einen Rahmen geschaffen zu haben. Das hervorragend organisierte Symposion, durch das Bernhard Moltmann mit seinen Mitarbeitern umsichtig führte, zeichnete sich durch ein hohes Niveau der Referenten wie der Tagungsteilnehmer (rund 120) aus. Die Bedeutung der Veranstaltung des Themas und der Veranstaltung wurde durch einen offiziellen Teil unterstrichen, an dem Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Hessische Kultusminister Hartmut Holzapfel, der stellvertretende Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Hans-Helmut Köke, und Linda Reisch, Kulturdezernentin von Frankfurt am Main teilnahmen. Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Beiträge des Symposions in Buchform veröffentlicht werden sollen.
Fussnoten
Die Tagung fand vom 11. bis zum 15. Mai 1994 in den Räumen der Evangelischen Akademie Arnoldshain statt. Neben Akademiedirektor Bernhard Moltmann zeichneten für die Organisation und teils auch für die Moderation Dietrich Neuhaus und Doron Kiesel (beide Arnoldshain) sowie Cilly Kugelmann und Hanno Loewy (Fritz Bauer Institut) verantwortlich. – Die Auswahl der erwähnten Beiträge impliziert keine Wertung. Ziel dieses Artikels ist es, einen Einblick in einige zentrale Aspekte des vielschichtigen, interdisziplinären Themas zu geben.
[1] Nora, Paul, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, 17. Zitiert von Mihran Dabag.
[2] Metz, Johann B., Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie, Mainz 19925,79.
[3] Vergl. Young, James E., Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke, Frankfurt am Main 1992, 299.
[4] Die Namen von Tagungsteilnehmern sind großgeschrieben.
[5] Frankfurter Rundschau vom 26.3.1994.
[6] Bubner, Rüdiger, Geschichtsprozesse und Handlungsnormen. Untersuchungen zur praktischen Philosophie, Frankfurt am Main 1984, 158.
[7] Derrida, Jacques, Randgänge der Philosophie, Wien 1988.
[8] Vergl. Assmann, Aleida, Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis. Zwei Modi der Erinnerung, in Platt, Kristin u. Dabag, Mihran (Hrsg.), Generation und Gedächtnis, Opladen 1994 (in Vorbereitung).
[9] Grundzüge der Psychoanalyse, Frankfurt am Main 1976, 82.
[10] Vergl. Zurek, Adam, Kognitive Theorie, in: Rexilius, Günter u. Grubitzsch, Siegfried, Psychologie. Theorien-Methoden-Arbeitsfelder. Ein Grundkurs, Reinbek 1986, 516-532. Zu Halbwachs: 527.
[11] Maurice Halbwachs wurde 1877 in Reims geboren, war Professor an der Sorbonne und wurde 1945 im KZ Buchenwald ermordet. Seit einigen Jahren erlebt sein Werk eine beachtliche Renaissance, wie auch auf der Tagung deutlich wurde.
[12] Vergl. Halbwachs, Maurice, Das kollektive Gedächtnis. Mit einem Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Heinz Maus. Aus dem Französischen von Holde Lhoest-Offermann, Frankfurt am Main 1985. (Titel der franz. Originalausgabe: La Mémoire collective); ders. Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt am Main 1985. (Titel der frz. Originalausgabe: Les cadres sociaux de la mémoire); ders., La topographie legendaire des évangiles en Terre Sainte, Paris 1941.
[13] Assmann, Jan, Die Katastrophe des Vergessens. Das Deuteronomium als Paradigma kultureller Mnemotechnik, in: Assmann, Aleida u. Harth, Dietrich (Hrsg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt am Main 1991, 337-362, hier: 347.
[14] Zurek 527.
[15] Der katholische Theologe Johann Baptist Metz schreibt in ähnlichem Sinne: „‚Erinnerung‘ [hat] zentrale und theologisch fundierende Bedeutung in ihrer Gestalt als ‚Solidarität nach rückwärts‘, als Erinnerungssolidarität mit den Toten und Besiegten, die den Bann einer – evolutionistisch oder dialektisch gedeuteten – Geschichte als Siegergeschichte bricht.“ Metz 177.
[16] Assmann, Jan 349.
[17] Assmann, Jan 338.
[18] Die drei Verse lauten vollständig: „Erinnere dich daran, was dir Amalek angetan hat auf dem Weg, als du Ägypten verlassen hattest – wie er, von der Furcht vor Gott nicht abgeschreckt, dich auf deinem Marsch überrascht hat, als du ausgehungert und müde warst und er die Nachzügler zu Fall gebracht hat. / Deshalb, wenn der Herr, dein Gott, dir einmal Sicherheit vor den Feinden um dich herum gewähren wird, im Land, das der Herr, dein Gott, dir als deinen Erbteil geben wird, dann sollst du die Erinnerung an Amalek von dem Bereich unter dem Himmel auslöschen. / Vergiß es nicht.“ (5. Mose 25, 17-19)
[19] Ein Beispiel für diese Verbindung berichtet der in Wien geborene Philosoph Leonard H. Ehrlich: Er erlebte den Anschluß Österreichs am 11. März 1938, mit dem in der Erinnerung der österreichischen Juden die Vernichtung ihren Anfang nahm, und den shabbat sachor zeitgleich. Die Schlußfolgerung, die sich durch dieses Zusammentreffen aufdrängte, war: „Amalek gab und gibt es noch, und er war in der Gestalt der NS-Schergen heimtückischer denn je zuvor.“ Ders., Fraglichkeit der jüdischen Existenz. Philosophische Untersuchungen zum modernen Schicksal der Juden, Freiburg u. München 1993,285.
[20] L’Ange de L’histoire. Rosenzweig, Benjamin, Scholem, Paris 1992, 20.
[21] „Die Denkmäler sind zu Touristenattraktionen geworden und ziehen Hunderte von westlichen (zumeist jüdischen) Touristen in Dörfer, die wenig mehr als diese Erinnerung an eine Abwesenheit zu bieten haben.“ Young, James Edward, „Jewish Memory in Poland“, in Hartman, G.H., Holocaust Remembrance. The Shapes of Memory, Oxford and Cambridge, Mass. 1994, 228. Zitiert von A. Assmann; Übersetzung vom Verf.
[22] Nora (1990).
[23] Vergl. ders., The Texture of Memory: Holocaust Memorials in Meaning, New Haven u. London 1993.
[24] Vergl. Huyssen, Andreas, „Denkmal und Erinnerung im Zeitalter der Postmoderne“, in: Young (Hrsg.) (1994a), 9-17, hier: 15.
[25] Vergl. ders., Das Gegen-Denkmal. Erinnerung gegen sich selbst im heutigen Deutschland, aus dem Englischen von Oliver Wieters, Hamburg 1994 (1994b).
[26] „Wo sind die Nationaldenkmäler für den Genozid an den amerikanischen Indianern, für die Millionen versklavter und ermordeter Afrikaner, für die Kulaken und Bauern, die zu Millionen verhungert sind?“ (Young). Vergl. auch den sehr instruktiven Band: ders. (Hrsg.), Mahnmale des Holocaust. Motive, Rituale und Stätten des Gedenkens, Mit Beiträgen von Matthew Baigell …, Aus dem Englischen von Magda Moses, München 1994 (1994a).
[27] Metz, Johann Baptist, „Anamnetische Vernunft. Anmerkungen eines Theologen zur Krise der Geisteswissenschaften“, in: Honneth, Axel (Hrsg.), Zwischenbetrachtung: Im Prozeß der Aufklärung, Frankfurt amMain 1989, 733-738. Anamnetische Vernunft kann nicht identifiziert werden mit der zeit- und geschichtsenthobenen platonischen Anamnesis.
[28] Vergl. Ehrlich 283.
[29] Habermas, Jürgen, Eine Art Schadensabwicklung, Frankfurt am Main 1987, 175.
[30] Das Fritz Bauer Institut konstituiert sich zur Zeit als eine von der Stadt Frankfurt am Main getragene Studien- und Bildungsstätte für die Erforschung des Holocaust. Fritz Bauer, (1903-1968) mußte nach Amtsenthebung und KZ-Haft 1936 aus Deutschland fliehen, war jüdischer Widerstandskämpfer, und kam 1949 zurück. Später war er als Hessischer Generalstaatsanwalt die treibende Kraft hinter dem Auschwitz-Prozeß (1963-1966) in Frankfurt am Main.