Von Oliver Wieters
„Ich glaube, ich habe Roman Polanski gesehen“, sagte eine empfindsame junge Dame zu ihrem Begleiter an der Berliner Charlottenstraße mit einem Ausdruck im Gesicht als ob nicht der berühmte (und damals von der amerikanischen Justiz gejagte) Regisseur an ihr vorbeigegangen war, sondern ein leibhaftiger Geist.
Mit dergleichen Erscheinungen kann ich leider nicht dienen, obwohl auch ich Zeuge wurde wie sein „Ghost“ Wochen lang über der deutschen Metropole schwebte. The Ghost Writer (nach dem Roman von Robert Harris) ist der in mehrfacher Hinsicht passende Titel seines neuesten Films, der zum großen Teil in Deutschland gedreht wurde. Während ich beim Schreiben dieser Zeilen gerade mein Eis „Enigma“ esse – so heisst auch ein anderer Roman von Robert Harris – denke ich an die Tage im März 2009 in Berlin zurück, als Polanskis Team einen Teil der deutschen Hauptstadt in London verwandelt hatte. Polanskis Geist, englisch „Ghost“, schwebte für einige Wochen über Berlin. Ich ging einmal mit der Kamera auf die Suche nach dem kleinen Genie, das die letzte Szene des Films mit Ewan McGregor und einem überlebensgroßen Bild von Pierce Brosnan in der Berliner Charlottenstraße drehte.
Argwöhnisch beäugt von Sicherheitsleuten drückte ich ein paar Mal versteckt auf den Auslöser meiner Kamera, ohne den Maestro erkannt zu haben. Erst viel später, bei der genauen Durchsicht der Bilder, wurde ich seiner gewahr: Am Rande stehend, in eine leuchtend grüne Daunenjacke gehüllt, hatte er sich so unauffällig unter die Crew gemischt, dass er auf dem Bild wie ein Schatten scheint – oder, besser, wie ein wahrhaftiger Geist.
Geblieben ist mir noch ein damals strahlend weißer Koffer mit den Unterschriften der Schauspieler. Dieser Koffer aus Berlin erinnert mich immer an jenen Geist, dessen Hauch ich damals in der ohnehin manchmal geisterhaft anmutenden Hauptstadt gespürt habe.
Siehe auch den Wikipedia-Artikel mit meinem Bild: Der Ghostwriter