von Oliver Wieters
Es waren schwierige Zeiten, Hamburg lag in Trümmern: Zur Wiederbelebung des kulturellen und demokratischen Lebens wurden 1946 in allen Stadtbezirken der Hansestadt Kulturausschüsse eingerichtet. Benannt wurden sie nach Alfred Lichtwark, dem 1852 in Hamburg-Reitbrook geborenen und 1914 gestorbenen Direktor der Hamburger Kunsthalle, einem führenden Kunstpädagogen seiner Zeit. Mittlerweile sind alle Lichtwark-Ausschüsse aufgelöst worden – nur in Bergedorf gibt es noch einen. In diesem Jahr wird der Lichtwark-Dino 55 Jahre alt.
„Unsere Existenz ist keineswegs selbstverständlich“, sagt Geschäftsführerin Christine Schiller. Die geborene Berlinerin, die 1988 mit ihrer Familie aus der DDR geflohen ist, kämpft seit 1993 für den Fortbestand des gemeinnützigen Vereins, der sich in den Bereichen Theater, Konzerte und Jugendwettbewerbe betätigt. Unterstützt wird sie dabei von Sonja Kleensang.
Die Arbeitsbedingungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert: „1946 gab es in Bergedorf kein festes Theater. Gastspiele des Ohnsorg-Theaters oder des Ernst-Deutsch-Theaters gingen in der Schule Richard-Linde-Weg über die Bühne“, sagt Schiller. Oft fehlte es an einfachsten Materialien: „Die Gebäude waren unbeheizt, Kohle war Mangelware, auch die Papierqualität war schlecht.“ Dennoch gelang es dem Ausschuß, mit dem „Mitteilungsblatt“, den späteren „Lichtwark-Heften“, eine viel gelesene Zeitschrift herauszugeben. Ende des vergangenen Jahres wurde das traditionsreiche Periodikum an die Firma HB-Werbung abgegeben, nachdem die Anzahl der Leser stetig abgenommen hatte. „Eine gute Lösung“, meint Schiller, schließlich habe man zuletzt rote Zahlen geschrieben.
Geblieben ist dem Ausschuß bis heute das Ziel, Kunst und Kultur „für jeden“ zu bieten, wie Schiller sagt: „Wir richten uns an ein großes Publikum und wollen nicht in Konkurrenz zum Thalia-Theater oder Schauspielhaus treten.“ Höhepunkte der diesjährigen Theater-Aufführungen sind unter anderem Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ vom Euro-Studio Landgraf und das Theaterspektakel „Camevale“, das während des Goethe-Jahres in Weimar für Aufsehen sorgte. Zudem finden in diesem Jahr bereits zum 22. Mal die Theatertage statt, der Musikantenwettstreit sogar zum 38. Mal.
Mit der Bühne im „Haus im Park“ am Gräpelweg verfügt der Lichtwark-Ausschuss über das einzige professionelle Theater in Bergedorf – eine Institution, auf die Schiller besonders stolz ist. Das Gebäude wurde auf Initiative des Unternehmers und Mäzens Kurt A. Körber auf städtischem Grund gebaut und beherbergt neben dem Begegnungs-Centrum auch das Theater Haus im Park der Körber-Stiftung. „Zwischen der Stiftung und uns besteht eine klare Aufgabentrennung“, betont Schiller. Sie freut sich, daß der Leiter des Theaters, Dr. Nikolaus Besch, auf Tourneetheater verzichtet. „So kann man unsere Programme nicht mehr so leicht miteinander verwechseln“, sagt Schiller, die auf ein eigenes Profil des Ausschusses Wert legt.
In Bergedorf hat die belesene Diplom-Bibliothekarin, die in Berlin eine wissenschaftliche Bibliothek leitete, ein weites Betätigungsfeld ausgemacht: „Gegenüber Hamburg hat man hier immer noch Nachholbedarf`, sagt sie. Als ihr vorrangiges Ziel sieht sie jedoch, Kultur für alle bezahlbar und zugänglich zu halten, im Geist von Alfred Lichtwark, der 1886 bei der Eröffnung der Kunsthalle sagte: „Wir wollen kein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das tätig in die Erziehung unserer Bevölkerung eingreift.“