von Oliver Wieters
Eine Hand in einem schwarzen Seidenhandschuh ruht auf dem nackten Oberkörper einer jungen Frau. Auf den ersten Blick ein typisches Beispiel erotischer Kunst. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Der Raum unter der Hand ist hohl, die Brust wurde amputiert. Kein erotisches Motiv — nach gängiger, aber keineswegs von allen geteilter Überzeugung.
„Die Frauen, die hier abgebildet sind, und ich sind anderer Meinung.“ Trotzig ist dieses Motto, das die Hamburger Art-Photographin Angela Hasse ihrem Band über ,,Neun Frauen und Ich. Ein Buch über Brustkrebs, Heilung, Hoffnung und Erotik“ vorangestellt hat. Ihre provozierende Botschaft lautet: ,,Jede Frau hat eine schöne Ausstrahlung, auch wenn sie Krebs hat oder ihr eine Brust amputiert wurde.“ Am 6. Dezember präsentiert die künstlerische Autodidaktin aus dem Stadtteil Bergedorf das Buch und die Photographien im ,,Erotic Art Museum“ auf der Reeperbahn der Öffentlichkeit.
Sie ist sich bewußt, daß ihre Texte und Bilder an ein Tabuthema rühren: ,,Jeden Tag wird den Frauen in den Medien ein unerreichbares Schönheitsideal vorgehalten, Tod und Leiden werden verdrängt. Dabei gehört Krankheit genauso zu unserem Leben wie Erotik.“ Ihre Arbeit soll den Frauen dabei helfen, angesichts der Krankheit nicht ihr Selbstbewußtsein zu verlieren.
Die 47-Jährige weiß, wovon sie spricht: Vor zwei Jahren erhielt sie selbst die Diagnose Brustkrebs — der Arzt teilte sie ihr am Telefon mit. Kurze Zeit später fand sie sich im Wartezimmer eines Radiologen mit vielen Leidensgenossinnen wieder. „Darunter waren auch viele jüngere Frauen, und ich fragte mich, wie sie mit der Krankheit umgehen“, erinnert sie sich. Sie selbst hatte Glück: Die Diagnose stellte sich als falsch heraus. Aber für etwa 45.000 Frauen jährlich ist sie bittere Wahrheit, trotz immer besserer Behandlungsmethoden.
In den folgenden Monaten trat die Mutter eines erwachsenen Sohnes in Kontakt mit Gynäkologen und Radiologen und bekam die Adressen von neun Frauen im Alter von Anfang 20 bis Ende 50, die sich von ihr photographieren lassen wollten. „Anfangs war ich unsicher, wie weit ich gehen kann“, erinnert sie sich. Aber schnell entwickelte sich ein herzliches Verhältnis zu ihnen.
Die schwarzweißen Photographien zeigen die Modelle als normale Frauen, nicht als ,,Amazonen“. In Begleittexten erzählen die Betroffenen von ihrem Kampf gegen den Krebs und gegen die Einsamkeit — insbesondere älteren Frauen fällt es schwer, mit ihrem Partner über ihre Ängste zu reden, weiß Angela Hasse. Dabei werde neben der Brustamputation auch der Verlust der Haare während der Chemotherapie als demütigend empfunden. Es gibt allerdings auch andere Beispiele: Einige Frauen berichten, daß sie im Laufe der Erkrankung an Selbstbewußtsein gewonnen haben.
Obwohl das Buch auch Hinweise auf Arzte und Behandlungsmethoden beinhaltet, ist es kein medizinisches Buch im eigentlichen Sinne. Auch von ,,Heilung“, wie der Untertitel suggeriert, ist im Innern nicht die Rede. ,,Wenn allerdings den Frauen die Angst genommen wird, zur Früherkennung zu gehen“, so Angela Hasse, „habe ich aber schon viel erreicht“.
Neun Frauen und ich. Ein Buch über Brustkrebs, Heilung, Hoffnung und Erotik. Von: Hasse, Angela, Mikado, 2000, ISBN: 3-9354-3600-9 Preis: 25,46 €